Russische Geschichte
Teil V: Kapitel 1
Die Oktoberrevolution und der Bürgerkrieg
(1917 - 1921)
1917
Trotzkijs Theorie der "permanenten Revolution" fand Anklang bei den führenden Kräften der Bolschewiki (lange bürgerlich-kapitalistische Periode läßt Ziel der proletarischen Revolution in die Ferne rücken; bürgerliche Revolution sofort in die proletarische überleiten und als Initialzündung für die Weltrevolution wirken). Lenin veröffentlicht seine "Aprilthesen" ("Frieden, Land und Brot"; "Alle Macht den Sowjets"). Juliunruhen in Rußland.
Die neugebildete Provisorische Regierung unter Fürst Georgij Jewgenjewitsch Lwow (März bis Juli; russischer Politiker; * 1861, 1925; seit 1905 führend in der Reichsduma als Abgeordneter der "Kadetten"), später unter Alexander Fjodorowitsch Kerenskij (russischer Politiker; * 1881, 1970; seit 1904 in der Reichsduma als Abgeordneter der "Trudowiki"; Justiz- und Kriegsminister unter Lwow; als Ministerpräsident betrieb er die Fortsetzung des Krieges; schrieb "Die Kerenskij-Memoiren" [deutsch 1966]), verlor angesichts der allgemeinen Kriegsmüdigkeit und der ernsten Versorgungsnöte an Boden. Im September scheiterte Lawr Georgijewitsch Kornilow (* 1870, 1918 gefallen; nach der "Februarrevolution" Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte; fiel als Kommandierender der weißgardistischen Truppen in Südrußland) mit seinem von Rechtskreisen unterstützten Putsch. Ihre unentschlossene Politik nutzten die Bolschewiki zu einem von Lenin organisierten Aufstand (25. 10. / 07. 11. "Große Sozialistische Oktoberrevolution") aus.
seit 1917
Das russische Vielvölkerreich befindet sich in der Auflösung. Die Völker des Kaukasus, die Finnen und die Esten (1917) sowie die Ukrainer, Georgier, Weißrussen, Polen, Letten und Litauer (1918) erklärten sich für unabhängig.
seit 1918
Die Konterrevolution organisierte sich. Im Süden entstand die Don-Republik, und die Generäle L. G. Kornilow, Anton Iwanowitsch Denikin (* 1872, 1947; nach der "Februarrevolution" Oberbefehlshaber der russischen Südfront und Stabschef des Oberkommandos; Nachfolger Kornilows als Oberbefehlshaber der Weißen Armee in Südrußland; gab 1920 den Oberbefehl an Wrangel ab) und Pjotr Nikolajewitsch Wrangel (Baron von; * 1878, 1928; 1920 Oberbefehlshaber der Weißgardisten) sammelten starke Streitkräfte. In Westsibirien (Omsk) hatte sich Alexander Wassiljewitsch Koltschak (russischer Admiral und Politiker; * 1873, 1920 erschossen; 1916 Chef der Schwarzmeerflotte; 1918 Höchstkommandierender der antibolschewistischen Truppen; von M. W. Frunse geschlagen) zum Reichsverweser ausgerufen. Außerdem intervenierten die Ententemächte in Rußland. Diese gefährliche Lage verstärkte die diktatorische Tendenz. Die eigentlichen Ziele der Revolution (klassenlose Gesellschaft, proletarische Demokratie) mußten zurücktreten.
1918
Die Regierung zieht von Petrograd nach Moskau um (März).
Es gelang der Bolschewiki durch Erfüllung allgemeiner Forderungen, durch den Waffenstillstand und schließlich durch den Friede von Brest-Litowsk (durch einen deutschen Vormarsch auf Petrograd am 03. 03. erzwungener Diktatfrieden; am 22. 12. 1917 begannen die Friedensverhandlungen; Deutschland: R. von Kühlmann, M. Hoffmann; Österreich: O. Czernin; Sowjetrußland: A. Joffe, später L. Trotzkij; nach dem Separatfrieden mit der Ukraine reiste Trotzkij ab; Verzicht auf Polen, Finnland, Ukraine, Baltikum; im Zusatzvertrag vom 26. 08. wurde eine Kriegsentschädigung von 6 Mrd. Goldmark erzwungen; nach dem Zusammenbruch Deutschlands wurde der Friedensvertrag für ungültig erklärt) und das Dekret über die Landaufteilung breite Massen zu gewinnen. Die Konstituierende Versammlung wurde aufgelöst. Rußland wurde zur Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (Verfassung vom 10. 07).
Ermordung der Zarenfamilie (16. 07.).
1919
Gründung des Völkerbundes (auf Anregung des US-amerikanischen Präsidenten Thomas Woodrow Wilson [Politiker, Demokrat; * 1856, 1924; Prof. für Geschichte, Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft; 1910 - 1912 Gouverneur New Jersey; 1913 - 1921 28. Präsident; konnte auf den Pariser Friedensverhandlungen die Gründung, nicht aber den Frieden aufgrund seiner "Vierzehn Punkte" (Botschaft an den Kongreß von 1918) durchsetzen; 1919 Friedensnobelpreis] gegründet; internationale Organisation zur Erhaltung des Friedens; Sitz in Genf; 1926 Deutschland beigetreten; 1933 verließen ihn Japan und Deutschland; 1934 Sowjetunion aufgenommen; 1937 Italien; 1940 UdSSR ausgeschlossen; 1946 aufgelöst).
1919 - 1920
Mit den Abschlüssen der "Pariser Vorortverträge" (28. 06. Versailler Vertrag; 10. 09. Vertrag von Saint-Germain; 27. 11. Vertrag von Neuilly-sur-Seine; 04. 06. Vertrag von Trianon; 10. 08. Vertrag von Sèvres), die den Mittelmächten von der Entente auferlegt wurden, wurde der 1. Weltkrieg endgültig beendet.
1920
Die Offensive von Marschall Józef Pil-sudski (April; polnischer Politiker; * 1867, 1935; 1892 Mitbegründer der "Polnischen Sozialistischen Partei"; 1905 - 1907 Führer sozialistischer Kampfgruppen gegen die russische Herrschaft; 1908 - 1914 Organisator geheimer "Schützenverbände"; nahm seit 1914 auf österreichischer Seite am Krieg gegen Rußland teil; geriet nach der Proklamation des Königreiches Polen durch die Mittelmächte in Konflikt mit diesen; 1918 "Staatschef" des unabhängigen Polen; 1922 aus politischem Leben zurückgezogen; 1926 stürzte er die parlamentarische Regierung; Nichtangriffsverträge mit der UdSSR 1932 und dem Deutschen Reich 1934) zur Wiederherstellung der polnischen Grenzen von 1772 wird zerschlagen.
1921
Durch den Frieden von Riga (18. 03.) kamen beträchtliche Teile der alten weißrussischen und ukrainischen Gebiete an Polen (nach einem polnischen Sieg über die Rote Armee).
bis 1921
Die Vorstöße der Briten, Franzosen, Polen, Tschechen, Finnen, Letten, Baltendeutschen, Kanadier, Amerikaner, Italiener, Serben, Kosaken werden zurückgeschlagen.