Russische Geschichte
Teil IV: Kapitel 2
Das Petersburger Imperium: eine europäische Großmacht
Zweite Phase des Aufstiegs (1762 - 1815)
1762 - 1796
Unter der Herrschaft der Zarin Katharina II., die Große
(Sophie Friedericke Auguste; * 1729,
1796; Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst-Dornburg;
hatte zahlreiche Liebhaber: G. Orlow, G. Potjomkin)
gewann Rußland das Küstenland des Schwarzen Meeres
bis zum Dnjestr und wurde die Westgrenze weiter nach Mitteleuropa
vorgeschoben. Das Russische Reich wurde damit in Europa eine
Großmacht und war an der Regelung aller europäischen Fragen
beteiligt. Ihrem vorgeblich aufgeklärten Absolutismus entsprangen
die Reformen des Senats (1763)
und der Gouvernementsverwaltung (1764),
die Säkularisierung der Kirchengüter (1764),
zahlreiche Schulgründungen.
seit 1763
Wolgadeutsche werden angesiedelt. Sie bewahrten ihre Sprache
und Gebräuche.
1768 - 1774
Erster Türkenkrieg. Den russischen Truppen gelang die Vernichtung
der türkischen Flotte bei Tscheschme, was die Zusage
der freien Handelsschiffahrt auf dem Schwarzen Meer einbrachte.
Wassilij Krimskij Dolgorukij erobert in 15 Tagen für
Katharina II. die Krim (1771).
Das Osmanische Reich verliert die Oberhoheit über die Krim;
Friede von Kütschük-Kainardschi (1774).
1772
Erste Teilung Polens. Um Polen nicht ganz dem russischen
Einfluß zu überlassen, erklärten sich Preußen
und Österreich mit der 1. polnischen Teilung einverstanden
(Preußen: Westpreußen,
Ermland, Pommerellen ohne Danzig, Kulmerland, nördliches
Kujawien, Netzegebiet; Österreich: Galizien,
südliche Teile Krakaus und Sandomirs, Reussen
mit Lemberg; Rußland: östlich der Düna
und des Dnjepr). Die polnische Reaktion
darauf waren wirtschaftliche Stabilisierung, Reformbestrebungen der
Zentralregierung, kultureller Aufschwung (Edukationskommission;
Hugo Kol-l-ataj, Stanislaw Staszic; "Maiverfassung"
[1791; erste kodifizierte Verfassung Europas]).
1773 - 1775
Die verschärften sozialen Spannungen entluden sich in Bauernrevolten
("Großer Bauern- und Kosakenaufstand" Jemeljan
Iwanowitsch Pugatschows [Kosakenführer; * um 1742, 1775
hingerichtet; brachte fast ganz Südrußland unter seine
Herrschaft]).
1783
Annexion der Krim (Einverleibung in das Russische
Reich durch Katharina II.).
1785
Im Innern wurden unter Katharina II. die Adelsprivilegien
erweitert (Dienstfreiheit durch "Gnadenbrief")
und die Leibeigenschaft der Bauern verschärft (volle
Verfügungsgewalt über Leibeigene garantiert).
1787
Während der Reise Katharinas in die Krim,
ließ Grigorij Alexandrowitsch Potjomkin (Potemkin;
Fürst; * 1739, 1791; Berater; Mitglied des Reichsrats und Präsident
des Kriegskollegiums; als Generalgouverneur von "Neurußland" und
der Krim gliederte er diese Rußland ein)
angeblich längs des Wolgaweges Attrappen von Siedlungen ("Potjomkinsche
Dörfer") errichten.
1787 - 1792
Zweiter Türkenkrieg (Oberbefehlshaber:
G. Potjomkin; plante die Eroberung Konstantinopels
und des Balkans). Rußland gewann das
Land zwischen Bug und Dnjestr. Mit dem Friede von Jassy
(1792) wurde der Besitz der
Krim bestätigt.
1793
Zweite Teilung Polens. Den Reformbestrebungen wirkte die "Magnatenkonföderation"
von Targowica (1792)
entgegen und holte russische Hilfe ins Land. Es kam zur 2. Teilung
Polens ohne Österreich (Rußland:
Rest-Ukraine, Polesien, Wolynien; Preußen:
Danzig, westlich von Tschenstochau - Sochaczew - Dzial-dowo).
1795
Dritte Teilung Polens. Unter Führung Tadeusz Kosciuszko
erhob sich Polen dagegen, worauf die 3. Teilung folgte (Rußland,
Preußen und Österreich teilten sich den Rest).
Damit wurde Rußland Nachbar von Preußen und Österreich.
1796 - 1801
Unter der Herrschaft Pauls I. (Pawel
Petrowitsch; * 1754, 1801 ermordet; Sohn Katharinas
II.; Großmeister des Malteserordens)
wurde die Zensur verschärft (Eindruck der Französischen
Revolution). Er unterband den kulturellen Verkehr
mit Westeuropa. Beteiligte sich am 2. Koalitionskrieg gegen Napoleon
I. Er wandte sich wegen der Besetzung Maltas gegen England.
Bevor sein Befehl zur Eroberung Indiens ausgeführt wurde,
wurde er durch eine Offiziersverschwörung unter Reichsgraf Peter
Ludwig Pahlens (* 1745, 1826; Militärgouverneur
von St. Petersburg und Außenminister [ab 1800])
ermordet.
1797
Grundsätzliche Bedeutung erlangte das "Thronfolgegesetz" Pauls
I.
1801 - 1825
In der Regierungszeit Alexanders I. (Alexander
Pawlowitsch; * 1777, 1825) wurde der Staatsapparat
reformiert (Ersetzung der Kollegien durch persönlich
verantwortliche Ressortminister [1802]; Gründung des Reichsrats
[1810]; ).
1806 - 1812
Türkischer Krieg. Eroberung Bessarabiens (Frieden
von Bukarest [1812]).
1807
Nach der Niederlage gegen Napoleon I. (Bonaparte;
1804 - 1814/15 französischer Kaiser; * 1769, 1821; "Napoleonische
Kriege") an der Seite Preußens schloß
sich Alexander der Kontinentalsperre (1806
Dekret von Berlin) an (Allianz
mit Alexander im Frieden von Tilsit).
1808 - 1809
Der russische Politiker Graf Michail Michajlowitsch Speranskij
(* 1772, 1839; 1812 verbannt: 1819 Generalgouverneur
von Sibirien) entwarf das erste russische
Verfassungsprojekt auf der Grundlage strikter Gewaltentrennung. Es wurde
nicht verwirklicht.
1809
Von Schweden wurde Finnland durch Rußland erobert.
1810
Absage Alexanders an die Kontinentalsperre (Absperrung
Festlandeuropas, um England wirtschaftlich zu treffen [nach Verlust
der französischen Flotte]).
1811 - 1819
Wassilij Michailowitsch Golownin (russischer
Seefahrer; * 1776, 1831; japanische Gefangenschaft [1. Weltreise])
unternahm seine 1. (1811 - 1813)
und 2. Weltreise (1817 - 1819; von Baron Ferdinand
Petrowitsch Wrangel [Polarfahrer] begleitet).
1812
Moskau brennt nach der Einnahme durch Napoleon I. nieder
("Brand von Moskau"; "Rußlandfeldzug").
1813 - 1815
Mit der führenden Rolle im Kampf (3. Koalition
[England - Rußland - Österreich]; "Befreiungskriege")
gegen und dem Sieg Alexanders I. ("Befreier
Europas") über Napoleon I. wurde
Rußland zur kontinentalen Hegemonialmacht.
1814 - 1815
Mit dem Wiener Kongreß (Kongreß
zur Neuordnung Europas nach den Kriegen gegen Napoleon I.
- "Wiener Schlußakte") konnte Rußland
den größten Teil Polens erobern (Bildung
eines Königtums Polen unter russischer Herrschaft ["Kongreßpolen"]).
Damit fand die russische Expansion nach Westen zunächst
ihren Abschluß.
1815
"Heilige Allianz". Auf Veranlassung des Zaren Alexander I.
(unter dem Einfluß mystisch-konservativer
Strömungen [Barbara Juliane Freiin von Krüdener
(baltische Schriftstellerin; * 1764, 1824; mystisch denkend
und fühlend; Bekehrung zum Pietismus; als Predigerin tätig;
Bekenntnisroman: "Valérie" 1803 frz., 1804 dt.)] wurde er zum
Initiator) in Paris geschlossenes Bündnis
zwischen den Monarchen Rußlands, Österreichs
und Preußens. Ziel war es, die Staaten nach den Grundsätzen
des Christentums, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens zu leiten
(alle europäischen Herrscher außer England
und der Papst traten bei). Unter Führung des
Fürsten Klemens Wenzel Lothar Metternich
(österreichischer Staatskanzler; * 1773,
1859) wurde sie zum Werkzeug der reaktionären
Mächte gegen die nationalen und liberalen Strömungen der Völker.