Russische Geschichte
Teil IV: Kapitel 1
Das Petersburger Imperium: eine europäische Großmacht
Erste Phase des Aufstiegs (1689 - 1762)
1689 - 1725
In der Herrschaftszeit Peters I., des Großen (Pjotr Alexejewitsch; * 1672, 1725; nach den Tod seines Stiefbruders Fjodor III. zunächst zusammen mit einem weiteren Stiefbruder, Iwan V., Zar unter der Regentschaft seiner Stiefschwester Sophie, die er 1689 ins Kloster verwies; faktische Übernahme der Regierung 1694) werden die religiös-traditionalistischen Wertvorstellungen des Moskauer Staates durch die rationalistischen Westeuropas ersetzt. Allerdings wurde von den Umwälzungen nur eine dünne Oberschicht erfaßt. Die von ihm geschaffene Bürokratie sollte sich zusehends zum Staatsapparat konstituieren und später (19. Jh.) mit dem Staat identifizieren. Außenpolitisch zeichneten sich die späteren Stoßrichtungen des Russischen Reiches ab: zur Ostsee; nach Westen; zum Schwarzen Meer; auf den Balkan; nach Mittelasien.
1696
Peter I. eroberte die türkische Festung Asow.
1697 - 1698
Europa-Reise Peter I., wo er die Ansätze seiner gesamten Außen- und Innenpolitik formte.
1699
Erste Stadtreform Peters.
1700
Unter Peter kam es zur entscheidenden Krise zwischen der Autorität des Patriarchen und des weltlichen Herrschers (Mit dem Tode des Patriarchen Adrian ließ er keine Neuwahl mehr zu).
1700 - 1721
Der "Große Nordischen Krieg" (Krieg um die Herrschaft in der Ostsee und ihren Randländern) begann 1700 mit einer Niederlage Peters I. bei Narva. Er wurde ausgelöst durch einen Konflikt in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Gegen Schweden kämpften Dänemark, Sachsen, Polen und Rußland. Seit 1713 auch Preußen und Hannover.
1703
Symbol der Europäisierung ist u. a. die Gründung St. Petersburgs.
1708 - 1722
Errichtung der Gouvernements (1708; Teilgebiete des Reiches; werden von den Vojevoden verwaltet); des Senats (1711); der Kollegien (1718 - 1722); des Heiligsten Dirigierenden Synods (1721; kollegiale Kirchenleitung), die den Patriarchen ersetzte.
1709
Erfolg Peter I. im "Großen Nordischen Krieg" gegen Karl XII. von Schweden. (Schlacht bei Poltawa), der die Gottorfer unterstützte.
1710
Im "Nordischen Krieg" eroberte Rußland Livland.
1711
Mit der Niederlage am Pruth mußte Peter I. auf Asow verzichten (Türkei unterstützt 1710 Karl XII. von Schweden im "Nordischen Krieg"). Sein Vorstoß auf dem Balkan blieb erfolglos.
1712
Verlegung der Residenz nach St. Petersburg (1712 - 1918 Hauptstadt Rußlands). Damit begann das Petersburger Imperium.
Zweite Ehe Peters mit Katharina I.
1717 - 1721
Zweite Stadtreform Peters I. Damit versuchte er das Bürgertum zu stärken und nach westeuropäischem Vorbild umzuwandeln.
1718
Die leibeigene Bauernschaft wurde mit einer Kopfsteuer belegt und dem Adel ausgeliefert.
1721
Der "Nordischen Krieg" findet seinen Abschluß im Friede von Nystad (Beauftragter: H. J. Ostermann). Die wichtigsten Ergebnisse der Friedensschlüsse von Stockholm (1719 / 1720), Frederiksborg (1720) und Nystad (1721) waren: Hannover erhielt Bremen und Verden. Preußen gewann Vorpommern zwischen Oder und Peene mit Stettin, Usedom und Wollin. An Rußland fielen Livland, Estland, Ösel, Ingermanland, Teile Kareliens. Schweden mußte Gottorf fallen lassen. Durch den Vorstoß bis zur Ostsee in breiter Front und durch den Erwerb der Ostseeprovinzen erreichte Rußland damit die osteuropäische Vormachtstellung.
Annahme des Titels "Imperator" (Kaiser) als weiteres Symbol der westeuropäischen Orientierung.
Peter I. hob das Patriarchenamt zugunsten einer kollegialen Leitung der Kirche unter staatlicher Kontrolle auf ("Heiligste Regierende Synod"; wurde von den östlichen Patriarchen als gleichwertig anerkannt; weitgehende Auslieferung der Kirche an den autokratischen Staat; auf der anderen Seite bedeutete es eine geistliche Selbstbesinnung, wie es sich im "Starzentum" [Sammlung um geistliche Führer; Serafim von Sarov, Starzen von Optina, u. a.] ausdrückt).
1722
Der dienstpflichtige Adel wurde einer strengen Dienstrangtabelle unterworfen.
1722 - 1723
Peter I. eroberte von Persien die Südwestküste des Kaspischen Meeres. Damit wurde der spätere Weg der russischen Expansion in Mittelasien gewiesen.
1725 - 1727
Regierungszeit Katharina I. (Marta Skawronskaja; * 1684, 1727; Bauerntochter; Frau eines schwedischen Dragoners; Geliebte A. D. Menschikows; Peters I. zweite Frau [1712]; 1724 Krönung). Als Zarin nach Peters Tod überließ sie die Regierungsgeschäfte Menschikow (Alexander Danilowitsch; * 1672, 1729; Fürst seit 1707; russischer Politiker und Heerführer; Jugendgefährte und engster Mitarbeiter Peters; zeichnete sich im "Nordischen Krieg" aus; 1703 Gouverneur von Ingermanland; 1718 Präsident des Kriegskollegiums; Vormund Peters II.; 1727 gestürzt und nach Sibirien verbannt). Mutter von Elisabeth.
1727 - 1730
Herrschaft Peter II. (Pjotr Alexejewitsch; Enkel von Peter I.; * 1715, 1730; heiratete 1729 die Schwester Iwan Dolgorukijs, Katharina). Die Regierung leiteten Fürst A. Menschikow und später die Fürsten Dolgorukij (Dolgorukow; russische Fürstenfamilie; "der Langarmige" [Kriegsname von Iwan Andrejewitsch aus Protwa im 15. Jh.]; Stammvater soll Rjurik sein; Iwan Dolgorukij [* 1710, 1739 enthauptet] war Günstling Peters II.; sein Vetter Wassilij Lukitsch Dolgorukij [* 1670, 1739 enthauptet] erhob Anna Iwanowna zur Zarin).
1730 - 1740
Unter der Regentschaft der Zarin Anna Iwanowna (* 1693, 1740; Nichte Peters I.; W. L. Dolgorukij versuchte ihre Macht zu beschränken [Anna verbannte die Familie Dolgorukij nach Sibirien; 1735 rehabilitiert und 1739 enthauptet]) wurde durch die Politik Heinrich Johann Ostermanns (Andrej Iwanowitsch; * 1686, 1747; seit 1704 in Rußland; 1730 Graf; russischer Politiker [seit 1731 Außenminister]; 1742 nach Sibirien von Elisabeth verbannt) die zweite außenpolitische Interessensphäre, das Schwarze Meer und der Balkan, deutlich (Gemeinschaft mit Österreich gegen Polen und Türkei angestrebt). Ihre korrupte Regierung war als "Deutschenherrschaft" verrufen (Kriegswesen: Graf Burckhard Christoph Münnich [* 1683, 1767; 1728 Graf; russischer Feldmarschall; 1730 - 1741 Vorsitzender des Kriegskollegiums; 1721 - 1731 Erbauer des Ladoga-Kanals]; Reichsgraf Ernst Johann Biron [* 1690, 1772; Favorit der Herzogin-Witwe Anna Iwanowna von Kurland; 1740 wegen Mißwirtschaft ("Bironowtschina") von Münnich gestürzt und verbannt; von Katharina II. wieder eingesetzt]).
1735 - 1739
Krieg gegen die Türkei unter B. C. Münnich. Mit dem Friede von Belgrad (1739) wurde Rußland zum Rivalen Österreichs auf dem Balkan.
1740 - 1741
Herrschaft Ivan VI. Antonowitsch (* 1740, 1764; unter Vormundschaft des Herzogs von Kurland Ernst J. von Birons, dann seiner Mutter Anna Leopoldowna [Herzogin Elisabeth von Mecklenburg; * 1718, 1746; Enkelin Iwans V.; wurde mit ihrem Sohn gestürzt und verbannt]; von Elisabeth 1741 gestürzt).
1741 - 1762
Herrschaft Elisabeths (Jelisaweta Petrowna; * 1709, 1762; Tochter Peters I. und Katharinas I.).
1743
Elisabeth beendet den Krieg mit Schweden.
1755 / 1758
Elisabeth gründet die Universität in Moskau und die Akademie der Künste in Petersburg.
1756 - 1763
Rußland kämpft im "Siebenjährigen Krieg" (Konflikt zwischen den europäischen Großmächten) wie im Österreichischen Erbfolgekrieg auf seiten Österreichs gegen Preußen bis zum Tod Elisabeths.
1762
Regierungszeit Peter III. (Pjotr Fjodorowitsch; Enkel Peters I. Neffe Elisabeths; * 1728, 1762 ermordet; Herzog von Holstein-Gottorf). Er bewunderte Friedrich den Großen, den er durch den Friedensschluß von 1762 im "Siebenjährigen Krieg" entlastete und dadurch zu Schlesien wieder verhalf (Friede von Hubertusburg [1763]). Seine Überheblichkeit gegenüber dem Russentum machte ihn verhaßt und förderte seinen Sturz (von Grigorij Grigorjewitsch Orlow [Graf; Günstling und Geliebter Katharinas II.; * 1734, 1783] ermordet) durch seine Gattin (seit 1745) Katharina II.